Mittwoch, 3. Februar 2021

homeschooling 2021 - ein persönlicher erfahrungsbericht

 "das kann doch nicht so schwer sein!"


warum in aller welt, ist es so schwierig, diese schulaufgaben in schwierigkeitsstufe klasse 4 schnell zu erledigen und dann freizeit zu genießen? warum sehen die kids das licht am ende des tunnels nicht. dort liegen die belohnungen für die harte arbeit, die das homeschooling von ihnen fordert. die aussicht auf tv, spielen, frische luft, mit der freundin telefonieren, dass die mama endlich aufhört sie mit den aufgaben zu plagen.... treibt sie nicht an. waaaarum nicht???

ich komme mir täglich vor wie auf dem hundesportplatz. dort treibe ich meine mädels durch den parcours. bin voll auf adrenalin. erstens weil ich das heutige pensum sehe. zweitens, weil ich versuche ihnen ein wenig begeisterung für die aufgaben einzureden. dabei haben sie wirklich kein bock. es kostet so viel kraft.

 


mit meiner großen habe ich die tage mal so lamentiert, dass ich ihre aufgaben in nullkommenichts durcharbeiten werde, die zeit stoppen möchte um ihr dabei zu zeigen, wie "einfach" es doch ist. 

das sah wie folgt aus:

beide mädels sitzen an ihren schreibtischen, haben einen überblick über ihre tagesaufgaben. gestern haben wir nach der erledigten arbeit noch kurz festgelegt, was sie für heute bearbeiten möchten, es sind also von ihnen ausgewählte wohlfühlaufgaben. und daraus suchen sie sich nun widerum die aufgaben mit der niedrigsten hemmschwelle heraus. man könnte meinen, die motivation reicht aus, um konzentriert loszulegen. 

jetzt schon müssen wir noch die mundwinkel korrigieren. von ganz steil nach unten nach mitte bis oben. 

ok. die kinder sind soweit, legen los. ich sitze mit im zimmer, die arbeitsblätter in mathe, die die große gerade nicht bearbeitet auf dem schoß und einen stift in der hand. ich freue mich sogar. verstohlen drehen die mädels sich um und beobachten mich. wie witzig, die mama sitzt auch mit aufgaben da. kurzes räuspern und sie drehen sich wieder zurück zu ihren aufgaben. ich kehre gedanklich auch wieder zu meinen aufgaben zurück. schriftliches multiplizieren in unterschiedlichen schwierigkeitsstufen. das machen wir schon seit wochen. die routine sollte mir helfen. ich konzentriere mich. es fällt mir schwer, den überblick zu haben, welche zahlen ich nun schon multipliziert habe und welche nicht. ich komme langsam voran. denn ich merke, dass ich das zimmer abscanne. nach geräuschen. nach hinweisen auf den status der kinder. arbeiten sie noch oder sieht das von hinten so aus, als ob sie schon in ihr träumerland gewechselt sind? nochmal räuspern, nur zur sicherheit. wo war ich jetzt? hab ich 9x9 schon gerechnet, welchen übertrag musste ich noch berücksichtigen, neiiiiiin, zur sicherheit nochmal von vorne. eine frage kommt auf. blatt weg und schauen, wo es fehlt. nochmal beide anschubsen und dann wieder zurück zu meinem blatt. oh mann! erst die hälfte geschafft. "was kann ich den mädels nachher als zwischensnack anbieten?" die gedanken beginnen zu wandern. nein! nicht abschweifen! die seufzer der mädels werden lauter. nochmal korrektur der mundwinkel und zwischenstand der zeit bekanntgeben. nur noch ein paar minuten dranbleiben, dann machen wir kurz pause. puuuuh! ich habe die zweite seite zur hälfte geschafft. die große steckt fest. anschucken bringt nix. der timer klingelt. zum glück!

"mama, was soll ich machen?" was kann man denn in 5 minuten machen? warum muss ich dir das in der pause auch noch sagen, was du machen möchtest. es reicht doch während der arbeitsphase.

 


die mädels tingeln ins wohnzimmer in richtung der puppen, die sie aktuell wieder entdeckt haben. ich nutze die gunst der stunde und mache weiter mit meinen aufgaben. jetzt muss aber was laufen. es ist ruhig im zimmer. tatsächlich schaffe ich es ein starkes stück weiterzukommen. ich merke, wie ich vor konzentration die augen zusammen kneife. manchmal halte ich sogar die luft an. es ist wirklich schwer, so fokussiert zu arbeiten. 

die pausenzeit ist um, ich rufe nach ihnen. nur widerwilig geben sie das spiel auf, sind aber im kopf noch in ihrer puppenwelt. das merkt man an dem, was sie am schreibtisch sitzend noch von sich geben. schrille laute, kindersprache, einzelne wortfragmente. das rüberwechseln fällt schwer. "mama, ich hab hunger!" was? wir haben vor einer starken halben stunde den frühstückstisch verlassen. schon wieder hunger? was hab ich mir vorhin überlegt, als der gedanke an den zwischensnack aufkam? ich schwenke um, nein, sie kann noch nicht hungrig sein. das ist rauszögerungstaktik. klare ansage von mir. einen snack gibt es nach den nächsten 20min. stöhnen, noch ein weiterer versuch mich umzustimmen. vergebens. konzentration! wo wart ihr stehen geblieben, was kommt jetzt dran? wo stehen die mundwinkel? 

als beide wieder "in der spur" sind, mache auch ich weiter. ich hole mir das dritte blatt. das reißt die große wieder aus ihrem mäßigen flow. kurzes zuzwinkern, ein schulterklopfen, das soll sie zum weitermachen bewegen. es ist so schwer. nun dauert es ein wenig länger bis der kopf über dem arbeitsblatt ist. drüben am anderen tisch verzweifelt die kleine. die luft ist raus. schon in der zweiten arbeitsphase. das kann ja heiter werden. unser gebrabbel stört die große, hüpfe schnell rüber und schucke sie an. bunte stifte, ja das hilft. es sieht herrlich aus, wenn die striche in der rechnung bunt sind. sie beginnt, die aufgaben in unterschiedlichen farben zu unterstreichen. es versteht sich von selbst, dass die farben regenbogenartig aufeinander folgen. und das gibt ihr tatsächlich ansporn. geschafft!

die kleine hat mittlerweile aufgegeben. die kurze auszeit, während ich mich um die große gekümmert habe, hat sie genutzt, um sich völlig verzweifelt mit ihrem reisenkuschelhund auf dem bett zu verkriechen. eine träne kullert ihr über die wange. es ist aus. kurz keimt meine hoffnung auf, dass sie noch die kurve kriegt und eben später weitermacht. aber da ist hopfen und malz verloren. 

der timer piept. die große hat es sogar geschafft, einen teil vom arbeitsblatt für morgen vorzubereiten, die aufgaben sind vorgeschrieben, natürlich in regenbogenfarben unterstrichen und sie himmelt das blatt an. die perfekte ausgangssituation für morgen. ein weiteres schulterklopfen und die frage, ob das jetzt nicht ein tolles gefühl ist, es geschafft zu haben. die mundwinkel sind freiwillig oben. pause. 

 


die puppen sind wieder dran.

 

für die dritte arbeitsphase hat sich die große aufgaben in deutsch ausgesucht. klappt gut. die kleine hat immer noch aufgegeben. sie steigt jetzt ins killergeschäft bei der großen ein. kann ja nicht schaden. sie unterstützt nun und hinterfragt die rechtschreibung einiger wörter. i oder ie? ihre teamarbeit ist prima. ich lasse laufen. zurück zu meinen aufgaben, kann gerade eh nichts anderes anstoßen. gemeinsam schlagen sie im kinderduden wörter nach. mein herz geht auf. ich ertappe mich beim anstarren. bin abgeschweift. so ist das also, wenn die kids über ihren blättern sitzen. gar nicht so einfach, wenn im zimmer noch weitere schauplätze sind. kurze anmerkung: getrennte zimmer klappen nur eingeschränkt, da sie dann alleine ins träumen kommen und auch nicht voran kommen, so dass ich ständig von zimmer zu zimmer pendeln muss zum anschucken. mit ach und krach vervollständige ich das dritte blatt. während der nächsten pause schnappe ich mir das arbeitsheft der großen und schreibe die letzten aufgaben ab. nicht ohne den mädels ein versprechen abgenommen zu haben. die teamarbeit soll auch in die andere richtung funktionieren. sie sollen nachher die lernwörter der kleinen gemeinsam als laufdiktat erledigen. als sie zurückkommen habe ich alle matheaufgaben erledigt. und ich merke, wie schwer es war, die konzentration zu halten.

das laufdiktat klappt prima! währendessen bringe ich eine ladung wäsche zum laufen und checke die lage in der küche. sie kommen glücklich und stolz aus dem kinderzimmer. dickes lob von mir und die große pause steht an. sie wünschen sich eine folge ihrer aktuellen lieblingsserie. 

danach verschaffen wir uns nochmal einen überblick über die verbleibenden aufgaben. wir machen abstriche. das erleichtert uns alle. wir schmieden den plan, wie wir jetzt weitermachen. sie wünschen sich heute in die badewanne zu gehen. das wird das zugpferd für heute. das licht am ende des tunnels. 

 


schulende. wir haben vergessen den timer zu stellen. die phasen, in denen konzentriert gearbeitet wird, werden immer kürzer, die pausen dazwischen immer länger. aber die aufgaben sind abgeschlossen, das pensum haben wir nicht erreicht. die kleine wünscht sich einen aufkleber, so wie die große gestern beim abholen der wochenaufgaben welche von ihrer lehrerin bekommen hat. wir wühlen meinen aufkleberfundus durch. natürlich darf die große sich auch einen aussuchen. die wahl fällt schwer. da reicht einer nicht aus. die sind alle sooooo schön. der spontane deal ist nun, dass sie jeden tag einen aussuchen dürfen. morgen ist ja auch noch ein tag. 

wir machen feierabend für heute. wo ist die zeit hin? nach dem mittagessen lassen sie sich die wanne einlaufen - natürlich mit badequatsch. es ist 14 uhr. ich lasse sie im wasser sitzen bis die haut richtig schrumpelig geworden ist. die große muss heute aber noch mindestens drei kapitel im neuen buch von der schule lesen. aber erst, wenn die erinnerung an die mühen des vormittags verblasst sind. vielleicht kriegt die kleine dann auch noch lust, ihren kurzen text von heute morgen zu lesen. 

"das kann doch nicht so schwer sein!"






die drei kapitel für abends sind natürlich auch nicht zu schaffen. nach zwei geben wir auf. der tag soll mit einem wohlfühlgefühl enden und nicht mit frust. die lesehausaufgabe der kleinen klappt prima. der trick, sie dem papa vorzulesen bewirkt wunder.
 

wenn die mädels im bett sind, ist das mein licht am ende des tunnels. und vielleicht suche ich mir dann auch noch einen klitzekleinen aufkleber aus. einen mit glitzer. und pink. das ist dann meine belohnung für heute. zusammen mit noch ein wenig mehr verständnis für die leistung, die sie in diesen tagen vollbringen. 


anmerkung: die zahlentafeln musste die kleine machen für die schule.

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